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In der ersten, mit dem „red dot award” ausgezeichneten Arbeit von 2007 befassten sich Claudia und Frank Kudlinski mit dem Phänomen „Gemachter Leute”. Reich, berühmt und sexy – das zeichnet gemachte Leute aus. Sie haben geschafft, wonach andere noch streben. Für ihr Unternehmen WENN&ABER kreierten sie eine Reihe eigener „Mades” und erschufen neun Berühmtheiten, samt erfolgreichem Werdegang - vom Tellerwäscher zum Millionär. „Everyone will be a star for fifteen minutes”, sah Andy Warhol voraus. Diese Prognose nahmen Claudia und Frank Kudlinski auf und setzten sie in die Tat um. Damit taten sie künstlerisch nichts anderes, als heutzutage durch Castingshows vermarktet wird. Sie griffen ein gesellschaftliches Phänomen auf: „Wie schaffe ich es, der grauen Masse zu entkommen, etwas einzigartiges zu vollbringen und mich zu verwirklichen?”. In der neuen Arbeitsreihe geht es abermals, um die Vertiefung dieser Frage, nämlich was Menschen antreibt, was sie beflügelt und indem was sie tun, erfolgreich macht.
Kommen wir nicht alle nackt zur Welt? In unserer Nacktheit (auch, wenn wir älter werden) wirken wir unvoreingenommen und eher verletzlich, meist bleibt unsere Herkunft dabei zweitrangig bis verborgen. Dennoch gibt es, indem wir wachsen, Anzeichen dafür, dass wir erwachsen (werden). Das ist ein unaufhörlicher Prozess. In der Betrachtung des Gegenübers sind wir, wenn wir aufmerksam dabei sind, auf Spurensuche. Wir sehen förmlich, wie manche über sich hinauswachsen, ohne es konkret (be-)greifen zu können. Sie fliegen ohne Flügel und sprengen die Norm – sie reißen aus. Man spricht in der Statistik von Ausreissern, wenn ein wissenschaftlicher Befund oder Wert nicht in eine erwartete Messreihe passt oder allgemein nicht den Erwartungen entspricht.
Das trifft auch auf die Ausreisser zu, die Claudia und Frank Kudlinski mit den Arbeiten „Ausreisser – Fliegen ohne Flügel” zeigen. Sie sind alle nackt portraitiert und liefern eine Art von Zwischenbefund. Sie unterscheiden sich, denn in ihren Gesichtern sind individuelle Spuren zu erkennen. Sie alle zeichnet eine Gemeinsamkeit aus. Im diffusen Hintergrund ihres Lebens bilden sich fast unsichtbar für den Betrachter, aber doch zu erahnen, so etwas wie Flügel aus. Das ertüchtigt sie über sich hinaus zu wachsen. Um es mit einem weiteren Zitat von Coco Chanel zu verknüpfen: „Das Schöne bleibt, das Hübsche vergeht.”
Mit Kurzinterviews, welche die Portraits der großformatig aufgezogenen Fotocollagen begleiten, werden die Charaktere vertieft. Dabei erahnt der Betrachter, was die abgebildeten Persönlichkeiten jeweils beflügelt. Oftmals sind es nachvollziehbare Kleinigkeiten, aber auch Grundsätzlichkeiten, die ihr Leben umkrempeln. Dabei geht es um tatsächlich neue Werte und Befunde, die sie antreibt und zu Ausreissern macht – auf ihre ganz persönliche Weise sprengen sie den Rahmen des Alltäglichen.